Wenn der worst case real wird | 28. August 2004 |
Vergesst Bern '54. Gähnt über München '74. Verdreht die Augen bei Cordoba '78. Denn der deutsche Fußball erlebte sein wahres Wunder in Hamborn 2004. Zwölf Helden trugen weiß-blau, elf Deppen versteckten sich in ihren blauen Trikots, als der Schiedsrichter das Prestigeduell zwischen Hobby Hamborn, formerly known as Bayern München/Werder Bremen des Hobbyfußballs, und Torpedo Utfort, der einstigen Gurkentruppe von der linken Rheinseite, abpfiff. Mit 3:2 (2:1) hatten die Mannen um den Taktikfuchs Trainer Frank Baade die kraft- und ideenlosen Hobbies geschlagen - und das zu allem Überfluss nicht einmal unverdient. Und während die Torpedos nach der Rückkehr in die Heimat auf dem Dorfplatz von den heimischen Bauern gebührend gefeiert wurden, herrschte in Duisburg-Hamborn Ratlosigkeit. Wie, zur Hölle, konnte denn das passieren? |
Ganz einfach. Das traditionelle Hamborner Watschenfest stand an. Dieses Brauchtum sieht vor, dass sich ein Hamborner Team einen dankbaren Gegner einlädt und diesen dann schwindlig spielt. Als Kandidaten für die Rolle des Schwindeligen hatte sich Hamborns Laberbacke Ben Binkle seinen Lebensabschnittspartner Frank Baade und dessen Gurkentruppe Torpedo Utfort ausgesucht. Mit falschen Verlockungen (Bier, Fleisch, Geld, Frauen, Kündigungsschutz, etc.) und fiesen Tricks lockte Binkle die Opfer nach Hamborn zu einem erneuten Schlachtfest, den vierten Sieg gegen Utfort fest eingeplant. Dass dann aber alles anders kam, lag vor allem daran, dass die Torpedos heute nicht gewillt waren, Geschenke zu verteilen, sondern eher, selbige anzunehmen. Elf aus Siebzehn, so die Bilanz der Kaderrekrutierung auf Hamborner Seite. Auch in Utfort wurde händeringend nach Leuten gesucht, am Ende waren es immerhin zwölf. Guter Dinge gingen die haus-wenn-nicht-gar-turmhoch favorisierten Hobbies in die Partie, was dann aber bedeutete: in die eigene Hälfte. Anstoß Hamborn - und gleich passte der immens umsichtige Libero Binkle den Ball mal ins Aus. Er hatte in 17 Metern Entfernung einen Gegenspieler gesehen und war dementsprechend in Panik verfallen. Nahtlos ging es weiter. Utfort spielte ein bisschen Fußball, die Gastgeber standen auf der Asche und staunten nicht schlecht. Nach 18 Minuten trug das lethargische Hamborner "Spiel" dann endlich Früchte. Eine Utforter Flanke auf niemanden verwertete Thomas Yalim ganz sicher aus fünf Metern ins eigene Tor. Dabei wollte die Nummer zehn den Ball nur per Kopf zu Schlussmann Dirk Weyers zurückgeben. Weyers hatte aber andere Pläne und wollte den Kullerball selber fangen. Miteinander reden wäre hier wohl des Problems Lösung gewesen. Mit dem Eigentor im Rücken drehte Hamborn dann aber mächtig auf, brachte sogar zwischendurch Pässe an den Mann und schoss sogar auf das von Herrn Linke gehütete Torpedo-Tor. Manchmal, wenn man genau hinschaute, sah man sogar einen Hamborner in Bewegung, Augenzeugen wollen sogar einen Sprint gesehen haben. Die unlogische Folge des Katastrophenkicks war dann der Ausgleich, der natürlich nach einer Standardsituation fiel. Ecke des körperlich desolaten Boris Martinovic auf den Kopf von Tobias Salzburger. Ein Utforter kratzt dessen Kopfball noch von der Linie, aber genau auf die breite Brust von Frank Sleyfer, der den Ball dann im Tor ablegte. Nicht schön, aber 1:1. Nun aber wirklich: Eine starke Phase von Hobby Hamborn. Optisch überlegen aber brutal brotlos agierten die Blauen gegen etwas wackelnde Torpedos, die dann aber in der 42. Minute eiskalt zurückschlugen. Hamborns Abwehr klärte eine Ecke weit aus dem eigenen Strafraum. Und dann wurde es spektakulär: Mit atemberaubender Geschwindigkeit schob sich die Hobby-Abwehr nach vorne, um die Gegner abseits zu stellen. Selbt die Superzeitlupe mag das Tempo der Blauen nicht zu drosseln. Trotz dieser perfekten Abwehrarbeit hoben geschätzte fünf Hamborner das Abseits auf, Michael Ochs nahm den schönen Pass auf und vollstreckte gegen den machtlosen Weyers zur erneuten Torpedo-Führung. Danach war dann offiziell Pause, was bedeutete: Die Hamborner durften jetzt neben und nicht auf dem Platz rumstehen. Thomas Przystupa zollte der Sauferei des Vorabends Tribut und legte sich pennen, Martinovic suchte vergeblich nach seinem Kreislauf und blieb auch die ersten 15 Minuten der zweiten Spielhälfte draußen. Doch trotz Unterzahl machten die Hobbies gleich nach Wiederanpfiff mächtig Druck. Jetzt war Bewegung im Spiel und schon klappte es auch mit dem Spielaufbau um Längen besser. Was aber weiterhin fehlte waren Angreifer und gefährliche Strafraumszenen. Und so bot sich ein Bild von optisch überlegenen und stetig anrennenden Hobbies gegen defensiv gut organisierte und resolut den Ball rausbolzende Torpedos. Besonders Utforts Libero Richard Schneider tat sich als große Hürde für die Hamborner Angriffe hervor. Gefährlich wurden die Gäste aber immer wieder bei ihren Kontern. Einmal rettete der Pfosten, zweimal hielt Weyers sein Team im Spiel. Zählbares gab es erst wieder in der 73. Minute. Der agile Salzburger, dem man im Gegensatz zu Martinovic und Przystupa die Sauferei nicht anmerkte, dribbelte sich auf rechts durch und passte maßgenau auf die kroatische Schnapsleiche Martinovic, die noch nicht eingeschlafen war und aus 34 Zentimetern Ball und leeres Tor traf. Drei Minuten lang freuten sich die Hobbies wie die Schneekönige über den Ausgleich und glaubten schon, der Blamage noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein, als dann der nächste Blackout für die erneute und diesmal fatale Torpedo-Führung sorgte. Erneut war es eine harmlose Flanke ins Nirvana, die mächtig Verwirrung stiftete. Wieder war Weyers rausgelaufen, um das Ding zu fangen, wieder kam ihm ein eigener Spieler zuvor. Diesmal war es Erik Engler und diesmal vollstreckte er nicht selber, sondern legte perfekt auf den schon abdrehenden Jörg Lolies auf, der dann ein leeres Tor vor sich hatte und nicht einmal Danke sagte. Kraft und Hoffnung schwanden dann gleichermaßen im Hamborner Team, Utfort versiebte noch zwei brauchbare Konterchancen leichtfertig. Und auch der Fußballgott wollte Hamborn völlig zu Recht nicht mehr helfen. Sleyfers Schuss traf nur die Latte, Yalims Kopfball aus einem Meter ging diesmal aufs richtige Tor, dafür aber daneben und Schneiders Attacke gegen Salzburger im Strafraum kurz vor Schluss blieb ungeahndet. Weil irgendwann auch 90 Minuten vorbei sind, besiegelte der Schiedsrichter mit seinem finalen Pfiff die Schmach des Jahrhunderts. Und während Torpedo Utfort im Pulp über Prämien stritt und sich in eine rosarote Zukunft soff, suchten die Hamborner nach Fehlern im System, aber nicht nach Ausreden. Die Absage einiger Leistungsträger war ebensowenig der Grund für die Schmach wie das warme Wetter oder der (gute) Schiedsrichter. Auch wurde der Gegner nicht unterschätzt, was ja bei Torpedo Utfort generell nicht geht. Zwei Tore wurden dem Gegner, der konzentriert und hinten fehlerfrei spielte, durch turnhallengroße individuelle Blackouts geschenkt. Dazu waren die Stürmer allerhöchstens körperlich anwesend und konnten sich zu keiner Zeit gegen Schneiders Abwehrkette behaupten. Und wenn dann neben Klasse auch noch Glück fehlt, dann gibt es eben ein Wunder. Wie in Bern '54. Wie in München '74. Oder in Cordoba '78. Und eben hier, am Samstagmittag, beim "Unfall von Hamborn" 2004. Und das schreibt Utforts Trainer Baade über das Spiel...
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Hobby Hamborn - Torpedo Utfort 2:3 (1:2) |
Hobby Hamborn: Dirk Weyers - Ben Binkle - Erik Engler, Michael Bumen, Christoph Schurse - Frank Sleyfer, Thomas Yalim, Tobias Salzburger, Philipp Greis - Boris Martinovic, Thomas Przystupa
Torpedo Utfort: Linke - Schmitz, Schneider, Kasner, Zwickler, Trenk - Schmidt, Ochs, Weckes - Lolies, Baade, Bartmeyer
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Tore:
0:1 Yalim (18. Minute/Eigentor)
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Spieler des Spiels:
Gelbe Karten: | ---
Platzverweise:
Besondere Vorkommnisse:
Zuschauer: | 6 - Edelfan Ingo Hoersken, Marius Niedoba, Matthias Nisbach, ein weiblicher Torpedo-Fan und zwei andere Menschen
Platzanlage:
Wetter:
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